Das Scheitern eines achtsamen Zuhörens
Neulich setzte sich eine mir unbekannte Frau neben mich und begann sofort ein Gespräch. Wir befanden uns in einem ziemlich leeren Foyer eines Kinos in Berlin. Wir sprachen ein wenig über den Film, der demnächst beginnen sollte. Die Dame wechselte aber rasch die Themen. Erst langsam verstand ich, dass sie auf ein ganz bestimmtes Thema hinauswollte.
Sie kann sich leider nicht in ihrer Wohnung aufhalten, meistens ist sie daher unterwegs. Sie kann in ihrer Wohnung nicht einmal lesen. Aber Lesen ist ihr wichtig. Sie nimmt also ihre Zeitungen und Bücher mit und sucht Cafés auf. Auch das Kinofoyer ist ein wenig Herberge. Sie macht mich mit diesem Satz neugierig und so frage ich sie, was los ist. Nun, ein Nachbar richtet unentwegt eine Waffe auf sie und zwar eine Mikrowelle. Damit könne er Strahlen erzeugen, die durch die Mauern hindurch wirken. Von diesen Strahlen bekommt sie Kopfschmerzen und sie kann sich nicht mehr konzentrieren. Bei dieser Erzählung wirkt sie heiter, freundlich und selbstbewusst. Davon sollte ich eigentlich gehört haben. So etwas geschehe häufig, sogar die Bildzeitung habe darüber berichtet. Sie wartet ab wie ich reagiere. Ob ich ihr etwa nicht glaube? Oh, ich wolle ihr eigentlich erstmal nur zuhören. Das entspricht der Wahrheit. Fürs Zuhören reicht mein Interesse. Ich sehe keinen Grund mich einzumischen, vermute auch, dass das keinen Sinn macht.
Hmm, also glaube ich ihr nicht. Wahrscheinlich würde ich mich fragen, warum sie denn nicht ausziehe, wenn es in ihrer Wohnung nicht auszuhalten sei. Das könne sie leicht erklären. Die Mikrowellenwaffennutzer seien überall und auch noch miteinander vernetzt, so dass sie sich verständigen würden. Wenn jemand wie sie erst einmal unter Beschuss sei, würde die Bestrahlung in einer anderen Wohnung weitergehen. Das ist etwas mehr als ich erwartet hatte, aber meine Erfahrung sagt mir, dass Widerspruch an dieser Stelle keine gute Idee ist. Auch meine Motivation ändert sich nicht, wandert eher noch weiter in Richtung des Zuhörens. Ich frage aber nicht nach, schaue sie nur interessiert an. Das ermutigt sie möglicherweise ausreichend, mich überzeugen zu wollen. Ich solle mir eine Website anschauen: „Nachbarn gegen Nachbarn“. Dort würde alles erklärt. Ich wiege den Kopf leicht. Die Website interessiert mich nicht so sehr, aber ich will mich vor allem nicht verleiten lassen, Stellung zu beziehen. Aber damit komme ich nicht durch. Ob ich mir die Website anschauen würde? Eigentlich sei ich dabei, ihr zuzuhören und das reiche mir erst einmal. Sie ist keine Patientin und ich will sie auch nicht dazu machen. Allerdings habe ich doch langsam das Gefühl, dass sie mehr leidet als sie mitteilen möchte. Ich denke, sie wird nicht viele Menschen finden, die ihr eine Geschichte glauben, die ihr so wichtig ist. Also so einer sei ich, ich höre ihr aus Mitleid zu! Aber Mitleid brauche sie überhaupt nicht, das sei das Letzte. Meine Gesprächspartnerin wird unruhiger. Sie brauche Leute, die ihr glauben und sie unterstützen. Also würde ich mich informieren oder nicht? Ich wiederhole, dass ich das jetzt nicht entscheiden wolle, sie könne mir aber wirklich gerne mehr erzählen. Nun steht sie auf, schüttelt energisch den Kopf, wirft mir einen bösen Blick zu und geht davon.
Ich denke darüber nach, dass achtsames Zuhören nur dann wirklich gut ankommt, wenn der Andere tatsächlich erst einmal nicht mehr will als gehört werden und dem Zuhörer die Freiheit lässt, ob und wie er darauf reagiert. Es scheint mir gerade sehr utopisch. Ich habe auch das Gefühl, es mit dem reinen Zuhören übertrieben zu haben.
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